Es war klares Wetter, die Luft schien stehen zu bleiben, kaum ein Windhauch war zu spüren. Ein perfektes Wetter um in der Wildnis rund um den Wald Norgrim sein Unwesen zu treiben. So dachte auch der Jäger Ansariel. Er ging von Lichtung zu Lichtung und wartete dort mehrere Minuten auf Beute, er war ein Meister der Jagdkunst. Trotz seinem zwei Meter großem Körper konnte er sich beinahe ungesehen auf die Pirsch legen,sodass selbst seine Freunde ihn nur mit großer Mühe entdecken konnten. Durch seine enormen Tarnfähigkeiten genoss er überall in seiner Umgebung hohes Ansehen. Das war gut für ihn, denn jedem Elfen in diesem Gebiet ist es wichtig hohes Ansehen zu haben. Anders als Gesellschaftsabhängige Menschen lebten die Waldelfen nämlich abgeschottet von anderen Zivilisationen und hatten eine tiefe Verbundenheit für ihre Heimat. Nichtelfen waren daher niemals gern gesehen, nur Ansariel war in dieser Hinsicht besonders. Er war der Einzige im Umkreis von vielen tausend Metern, welcher kein reinrassiger Elf war und dennoch akzeptiert wurde. Als Halbelf geboren, war er das Kind von zwei mittlerweile verfeindeten Rassen, den Menschen und den Elfen. Von seiner Mutter Reena hat er das menschliche vererbt bekommen, sie war und ist die Königin des mittelländischen Königreiches. Sein elfischer Vater Aviston war einst ihr Geliebter, doch er verschwor sich gegen sie, weil Reena jeden anderen Elf folterte, gefangen nahm und hinrichten ließ. Er floh, zusammen mit Ansariel, aus dem Reich und traf auf ein kleines Dorf im Wald Norgrim. Diese nahmen die Familie entgegenkommend an, sie waren nur nicht sehr angetan von Ansariel. Als er aber bewies, dass er ein hervoragender Jäger ist und somit äußerst nützlich für das Dorf ist, haben sie ihn später akzeptiert und auch geschätzt. Mittlerweile sind viele weitere Jahre vergangen. Deswegen verstand er sich selbst auch nicht mehr als Halbelf, er legte seine menschliche Seite ab und wandte sich nur noch dem elfischen Leben zu. In seiner Heimat sprach auch niemand mehr von dem Halbelfen, er war für jeden wie einer von ihnen.
Ansariel war stundenlang im Wald unterwegs, fand aber nicht ein Beutetier. Er ging durch den idyllischen Wald. Es war Winter, dementsprechend war kaum ein Tier zu sehen. Vögel waren auch kaum welche zu hören, nur vereinzelt ein kleines zwitschern. Der verschneite Boden knirschte unter den Füßen von Ansariel. Der Boden auf einer kleinen Lichtung glänzte vom Sonnenlicht. Dann stolzierte ihn etwas in sein Blickfeld, es war ein Reh. Es ging auf die Lichtung und suchte nach Nahrung. Eigentlich müsste es tief und fest schlafen, da es tiefster Winter war. Auch wenn er fasziniert von dem frierenden Reh war, musste Ansariel an sein hungerndes Dorf denken. Er zückte seinen Bogen und spannte einen Pfeil. Er war hochkonzentriert und vollkommen lautlos. Er wollte grade seinen Pfeil fliegen lassen, doch dann erschrak das Tier plötzlich. Keine Sekunde später sprang ein Rudel Wölfe aus dem Wald und fiel über das Reh her. Ansariel war verwundert. Seitdem er das große Wolfsrudel vor wenigen Wochen vollkommen ausgerottet hatte, waren dort keine mehr gesehen worden. Dennoch zerfleischten gerade vor seinen Augen zwölf Wölfe ein Reh. Seine Beute war nach kurzer Zeit nur noch ein Restehaufen. Ansariel konnte aber nicht mit leeren Händen in sein Dorf zurück kehren. Gerade im tiefsten Winter ist Fleisch und generell Nahrung eine Rarität. Deswegen er stieg auf einen Baum, damit die Wölfe ihn nicht auch noch zerreißen konnten. Dann schoss er einen der Wölfe nieder. Das Rudel schrak auf und wollte fliehen, aber Ansariel konnte ein zweiten erlegen. Das kann man Glück nennen. Statt nur ein abgemagertes Reh, konnte er nun zwei gut ernährte Wölfe ins Dorf tragen. Voller Stolz nahm er seine Beute auf die Schultern und ging zum Dorf. Als er dieses betrat machten die Einwohner große Augen. Ansariel steuerte seine Schwester, das Dorfoberhaupt Milaya, an. „Schwesterherz, sieh mal was mir die Natur heute geschenkt hat.“ Sie war erstaunt. „Wölfe? Haben wir die nicht vor kurzem erst vernichtet?“ „Haben wir auch. Das ist ein neues Rudel, zehn von ihnen sind noch irgendwo im Wald. Wir sollten morgen auf die Jagt gehen.“ „Ja das sollten wir, eher noch jemand erwischt wird. Bring die Wölfe in die Hütte und zieh ihnen das Fell ab, ja?“ „Immer doch, Schwester.“ Er ging an ihr vorbei in das Haus hinter ihr. Als er die toten Tiere auf den Schlachttisch lag, klimperte es. „Milaya? Kommst du mal kurz?“ Kurze Zeit später öffnete sie verwundert den Türvorhang. „Was ist denn?“ Er zeigte ihr die Halsbänder der Wölfe. „Das sind keine wilden Tiere. Das sind gezüchtete Jagdtiere von Menschen. Nur die legen es drauf an die natürliche Ordnung zu behindern. Ich werde mich mal in der Nähe von dem Ort, an dem ich ihnen begegnet bin, umsehen. Vielleicht finde ich ja ihr Lager.“ Milaya hatte gehofft nie in den Krieg von Menschen und Elfen hineingezogen zu werden. Jetzt bedrohten Menschen doch ihr heiliges Dörfchen, sodass sie handeln musste. Also ließ sie ihren Bruder dort hingehen, denn sie wusste es. Wenn Ansariel ein Menschenlager finden würde, dann würde er vermutlich dafür sorgen, dass sie keine Probleme mehr machen konnten. Ob auf diplomatischen oder militärischen Weg, das wusste sie allerdings nicht. Sie vermutete aber den friedvollen Weg, da Ansariel niemals jemanden töten wollte. Für einen Elfen war das Töten eins Menschen wie das töten eines Tieres, aber er war zur Hälfte ein Mensch. „Ja, mach das Bruder. Pass aber auf dich auf, okay?“ „Wann hab ich das denn mal nicht getan?“ Beide mussten ein wenig grinsen, dann lief Ansariel los. „Diese Sprüche immer, das muss er von seiner Mutter haben, unser Vater macht so etwas nie. Ich hoffe nur ihm passiert nichts“, dachte sie sich. Milaya wollte aber nicht, dass er alleine geht, deswegen schickte sie ihm 5 Leibwächter mit.
Als begnadeter Jäger war Ansariel in der Lage beinahe jeder Fährte zu verfolgen. An der Lichtung angekommen, nahm er die Verfolgung der Spur auf. Sie führte nur einige hundert Meter von der Lichtung weg, als sie an einer weiteren Lichtung ankamen. Dort war tatsächlich ein menschliches Lager aufgebaut. Es war nicht sehr groß, aber es waren fast zwanzig Leute dort. „Wir haben es. Lasst uns zurück zum Dorf gehen. Wir besprechen mit meiner Schwester was als nächstes passieren wird.“ Sie drehten sich um und machten sich auf den Weg nach Hause. Ansariel verlor sich ein wenig in Gedanken, das passierte öfter, er war ein sehr nachdenklicher Mensch. Er hatte schon einige Meter Abstand zu den anderen, als plötzlich eine Elfin schrie. „Hilfe! Lasst mich Los! Ich hab euch nichts getan!“ Die Schreie kamen aus der Richtung des Lagers. Ansariel merkte, dass sie in Gefahr steckte und lief zum Lager, ohne den anderen Bescheid zu sagen. Dort angekommen sah er, wie zwei Menschen eine wild fuchtelnde Elfin verschleppen. „Lasst mich gefälligst los ihr Tiere!“ Eine der beiden schlug ihr mit deinem Schwertgriff gegen ihren Kopf. Sie hörte schlagartig auf sich zu wehren. „Endlich gibt das Biest ruhe“, sagte der Schlagende. Ihr schneeweißes, langes Haar färbte sich rötlich, ein schrecklicher Anblick für Ansariel. Sofort dachte er an seine große Liebe. Diese hatte, genau wie die Gefangene, wunderschönes, langes und schneeweißes Haar, ihr Name war Eldaria. Sie starb vor vielen Jahren, durch Menschenhand, befohlen von Reena. Der Anblick dieser stark blutenden, bewusstlosen Elfin in menschlicher Gefangenschaft, überzeugte ihn von ihrer Befreiung. Als sie dann noch in ein Käfig geworfen wurde und dort blutend am Boden lag, entschloss er nicht mehr zu warten, er musste ihr helfen. Er dachte nach wie er ihr helfen konnte, dann sah er den Wolfskäfig. Die Tiere im Inneren waren zahlreich und wild vor Aggression. Der Käfig war nur mit einem einzigen Schloss verschlossen, welches groß genug war, dass Ansariel es mit einem Pfeil treffen könnte. Gedacht, getan. Mit einem präzisen Schuss öffnete er den Wölfen die Tür zur Freiheit. Die Tiere griffen wutentbrannt die Menschen an. Niemand der Menschen überlebte und nur zwei Wölfen war es möglich zu fliehen. Ansariel fühlte sich schlecht, er war verantwortlich für viele tote Menschen und Wölfe. Aber damit musste er nun leben, auch wenn es ihm nicht ganz so leicht viel. „Besser so, als dass ich sie alle hätte töten müssen“, redete er sich immer und immer wieder ein.
Er ging zu dem Käfig, in dem die schöne Elfin lag, sie war immer noch bewusstlos, aber sie lebte. Er wollte das Schloss aufbrechen, es war aber wesentlich stärker als das vom Wolfskäfig. Also suchte er im benachbartem Zelt nach den Schlüsseln. Auf dem Tisch lagen diese auch. Dort lagen aber noch zwei andere Gegenstände, welche Ansariel Aufmerksamkeit anzogen. Das eine ist ein Amulett in Form einer linken Helzhälfte. Nachdem er dieses eingesteckt hatte sah er eine Schatzkarte. Auf dieser Karte war zum einen der Wald Norgrim gekennzeichnet. Als Randnotiz stand dort „Amulett 1“. Damit war das Herzamulett gemeint. Es wurde aber auch eine Insel markiert, nicht weit von seinem momentanen Standort. Dort war als Randnotiz „Amulett 2 und Tempel“ geschrieben. „Interessant. Ich war da schon, einen Tempel hab ich aber nicht gesehen. Ich sollte da mal wieder hin“, dachte sich Ansariel und steckte die Karte ein. Dann nahm er den Schlüssel und ging zum Käfig der Elfin.

Sie lag immer noch regungslos dort drinnen, der Kopf schien nicht mehr aufzuhören zu bluten. Er nahm ein Teil seiner Stoffrüstung, zerriss sie in Streifen und verband ihr so die Wunde. Dann nahm er sie auf die Arme und trug sie aus dem Käfig zu seinem Dorf. Als er nach einigen Minuten dort ankam und in seine Familienhütte ging, platzte er geradewegs in einen Streit, wenn man das so nennen konnte. „Wie blöd seit ihr eigentlich?! Ihr habt meinen Bruder auf dem Heimweg verloren?! Inkompetente Idioten!“ Sie stand mit dem Rücken zur Tür als Ansariel eintrat. „Also Schwesterchen, so dumm sind die doch nicht. Sie haben nur nicht nach hinten gesehen als ich ein Rückzieher zum Lager gemacht habe. Hilf mir erst einmal mit der hübschen hier.“ „Dir geht’s gut! Warte, ich mach den Tisch leer, dann kannst du sie da drauf legen. Ihr anderen, verzieht euch lieber!“ Sie schmiss alles vom Tisch zur Seite. Dann legte Ansariel die Elfin behutsam auf den Tisch. „Was ist passiert Ansariel?“ „Nichts dramatisches, wichtig ist, dass du erst einmal ihre Wunde am Kopf verschließt, sie hat einen schweren Schlag abbekommen.“ Sie nahm vorsichtig den provisorischen Verband ab. „Ansariel, geh raus. Mich macht es nervös, wenn mir jemand zuschaut.“ Er rollte genervt die Augen und ging dann raus. Draußen setzte er sich auf eine Bank und wartete auf seine Schwester. Nach gut einer halben Stunde kam sie endlich raus. „Also, ihre Wunde ist zu. Kannst du mir nun mal sagen wer sie ist und warum sie so eine starke Verletzung hat?“ „Ich weiß nicht genau wer das ist, nur dass sie eine Gefangene der Menschen war.“ „Eine Gefangene?“ „Hab ich doch gerade gesagt. Sie war im Lager gefangen. Als das leer war bin ich rein gegangen und hab sie dann heraus geholt.“ Milaya war verwirrt. „Warte mal, als das Lager leer war? Hast du das leer geräumt?“ „Ja und nein. Ich hab niemanden getötet, falls das die Frage war. Ich hab die Wölfe befreit, die haben dann die ganze Arbeit gemacht. Ich bin rein, hab mir Schlüssel und so geholt, sie befreit und dann bin ich gegangen.“ „Schlüssel und so? Was meinst du mit und so?“ Ansariel rollte erneut mit den Augen und war sichtlich genervt. „Meine Güte, du stellst aber viele Fragen. Da lag noch ein Amulett und ne Karte, zufrieden? Die Karte zeig ich dir nachher, das Amulett bleibt meins. Sonst noch eine Frage oder kann ich wieder zu ihr gehen?“ Milaya machte den Anschein, dass sie gar nichts von alledem verstanden hatte. „Äh, nein, das waren alle. Geh ruhig rein, aber sie ist noch nicht wach.“ Ansariel ging hinein und ließ seine Schwester verwirrt stehen. „Danke. Ich weiß, dass sie nicht wach ist. Ich will aber bei ihr sein wenn sie wach wird, um ihr zu erklären wo sie ist und warum.“ Dann verschwand er in der Hütte. Milaya stand noch einen kurzen Augenblick dort stehen, wo sie war. Dann ging sie zu ihrer Mutter Cairlinn um ihr bei den täglichen Aufgaben zu helfen.

Es dauerte einige Stunden. Dann wachte die unbekannte Elfin endlich auf. Ihr war schwindelig und ihr Kopf schmerzte fürchterlich. „Wo, wo bin ich?“ Sie sah sich in der Hütte um. Sie setzte sich hin und guckte Ansariel schmerzerfüllt und fragend an. „Nicht aufstehen, bleib liegen. Du bist in meiner Hütte. Ich hab dich hierher gebracht nachdem ich dich aus dem Menschenlager geholt habe, damit ich deine Wunde versorgen kann.“ „Gerettet? Mich? Dann war das doch kein Traum, dann ist meine Familie doch...“ Sie fing an zu weinen. „Hey, was ist denn los? Du bist doch frei, das ist doch kein Grund zu weinen.“ Ansariel versuchte sie zu trösten, vergeblich. Jeder seiner Versuche ihre Tränen wegzuwischen wehrte sie ab. Antworten wollte sie auch nicht. Er rätselte kurz. Es gab viele verschiedene Arten der Trauer, jede mit einem individuellen Ursprung. Diese Art der Trauer war ihm bekannt, er konnte sich nur nicht sofort daran erinnern. Er sah ihr ins Gesicht, sah ihren Mund, der eine wütende, traurige Haltung hatte. Sah ihre Wangen, die durch die Tränen schon feucht glänzten. Sah ihre kleinen Augen, die sie krampfhaft zusammenpresste. Dann fiel es ihm ein. „Du hast eine wichtige Person verloren oder? Ich sehe es dir an, den Schmerz, die Trauer.“ Sie wandte sich ihm langsam wieder zu. Langsam öffnete sie ihre Augen. „Ich habe so etwas auch schon durchmachen müssen, ist lange her. Mir ist klar, ich kann soviel sagen wie ich will, es wird dir nicht helfen. Das einzige was hilft ist eine Menge Zeit.“ Ansariel wartete einen Moment und sah sie dabei mitfühlend an. Dann schaute er kurz nach unten, schloss die Augen. Dann stand er auf und wollte hinaus gehen. Er wollte ihr Zeit allein geben, damit sie sich sammeln konnte. Kurz bevor er aus der Tür ging, hielt er an, sie rief ihn. „Warte! Lass mich nicht allein.“ Er drehte sich um, sie hatte sich erneut aufgesetzt. „Ich kenne dich nicht, aber ich brauch eine starke Schulter, keine Zeit allein.“ Sie blickte Ansariel traurig und erwartungsvoll an. Er ging langsam auf sie zu, setzte sich neben sie. Sie legte ihren Kopf auf seine Schultern und fing an noch stärker zu weinen. „Ich danke dir, Fremder“, sagte sie schluchzend.


© Sven K.


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Beschreibung des Autors zu "Blutpfad des Ansariel [Kapitel I]"

Es hat lange gedauert, bis ich damit einigermaßen zufrieden wurde. Das nächste Kapitel ist in Arbeit, es wird aber dauern und ist sehr schwer.
Falls von euch jemand Ideen hat wie es weiter gehen kann oder Tipps, was ich beachten sollte, ich wäre euch sehr dankbar ^^




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